„Lahm und nicht mehr reitbar“ aus Cavallo Ausgabe 8/2013

Cavallo Pferd lahm

Interview mit Alena Brandt

Cavallo: Sie wollen uns von einem Pferd mit gesundheitlichen Problemen erzählen. Was war los?

Jörg Bös: Vor einem Jahr kam ein Besitzer mit seinem siebenjährigen Quarter Horse zu mir. Die Reining-Stute namens „Flummi“ ging nicht taktrein, bis sie schließlich stark lahmte. Die endgültige Diagnose des Tierarztes: Entzündung im linken Vorderbein. Das Pferd sei nur noch bedingt reitbar.

Cavallo: Klingt hoffnungslos. Wie konnten Sie da als Trainer helfen?

Jörg Bös: Der Tierarzt beleuchtete nicht die Ursache der Lahmheit. Da ich das Paar vom Kadertraining der EWU kannte, ahnte ich aber, wo sie lag.

Cavallo: Und was war die Ursache für Flummis Lahmheit?

Jörg Bös: Das Pferd lief ungleich im Becken. Es rotierte auf der einen Seite nicht, so wie es eigentlich bei einem gesunden Pferd sein müßte. Flummi war zudem nicht richtig geradegerichtet. Wenn sie hinter dem Zügel ging, dachte der Reiter, sie gibt nach und beließ es dabei. Das Pferd nahm daher zuwenig Last hinten rechts auf und fiel vermehrt aufs linke Vorderbein. Das war dadurch ständig überbelastet. Falsch verstandenes Reiten kann Pferde krank machen- wie in Flummis und in vielen anderen Fällen.

Cavallo: Das Thema scheint Sie richtig zu ärgern.

Jörg Bös: Und wie. In meinem Trainingsalltag sehe ich so oft lahme Pferde, die mit Entzündungshemmern behandelt werden. Die bekämpfen aber nur das Symptom. Das eigentliche Problem verstärkt sich immer weiter, wenn sich beim Reiten nichts ändert. Erst geht das Pferd nicht im Takt, dann lahmt es und schließlich ist es chronisch krank. Oft ist falsches Training die Ursache von Überlastungen. Hier gilt es anzusetzen. Mein Lieblingsspruch lautet: Gäbe es mehr bessere Reiter, könnten sich Tierärzte um Wesentlicheres kümmern.

Cavallo: Klingt hart für uns Reiter. Wie ging Flummis Besitzer mit dieser Einsicht um?

Jörg Bös: Ich erklärte ihm die Auswirkungen seiner reiterlichen Fehler auf den Pferdekörper. Dieses Verständnis ist der erste Schritt zum besseren Reiten, und das kann jeder lernen.

Cavallo: Und was mußte die Quarterstute lernen?

Jörg Bös: Unser Ziel war es, das muskuläre Gleichgewicht bei ihr wieder herzustellen. Dafür mußten sich bei ihr neue Bewegungsabläufe verfestigen. Das ging natürlich erst, als die akute Entzündung abgeklungen war.

Cavallo: Wie haben Sie mit der Stute gearbeitet?

Jörg Bös: Ich lockerte den Pferdekiefer zunächst mit einfachen Abkauübungen vom Boden aus. Bewegt sich der Kiefer, entspannen sich die Muskeln am Mundboden und Unterhals leichter. Das beeinflußt die gesamte Muskulatur positiv. Danach ließ ich die Hinterhand vom Boden aus kreuzen, damit der lange Rückenmuskel schwingt und sich die verkürzten Streckmuskeln lösen. Als das klappte, übte ich Schultervor – und Schulterherein am Boden und im Sattel.

Cavallo: Wie lange dauerte es, bis Flummi wieder Muskeln an den richtigen Stellen hatte.

Jörg Bös: Ich trainierte sie vier bis fünf Mal die Woche. Normal dauert es etwa ein halbes Jahr, bis die Muskeln sich so verändern, dass das Pferd eine andere Haltung bekommt und ins Gleichgewicht findet. Bei Flummi war es schwierig, da die Quarterstute schon vorher so mukulös war. Versuchen Sie mal einen Bodybuilder zu lösen. Doch bald lief sie entspannter und ihr Becken rotierte korrekt.

Cavallo: Ist Flummi heute wieder normal reitbar?

Jörg Bös: Ja. Sie lahmt nicht mehr und bewegt sich viel freier. Dadurch ist sie innerlich aufgeblüht und stolzer geworden. Als wollte sie sagen: Ich bin wer! Das sieht man auch an ihrem wachen Auge. Es ist eine Freude, diese Entwicklung zu verfolgen.

Comments

  1. Katharina Scholz meint

    Viel mehr solche Trainer brauchen wir! Am besten hat mir die Aussage über die Zeitspanne gefallen. Endlich ein Trainer, der keine Wunderheilung in 14 Tagen verspricht!!

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