Vom „Loslassen“ und „Festhalten“

In der Ausbildungsskala unserer Pferde gibt es drei sehr wichtige Punkte: Losgelassenheit, Losgelassenheit und Losgelassenheit!!! Ohne ein gerütteltes Maß an Losgelassenheit ist eine gymnastizierende Arbeit, die ja eine Weiterentwicklung der Pferdebalance unter dem Reiter zum Ziel hat, nicht möglich. Reitweisen- und reitdisziplinenübergreifend muß ein gerittenes Pferd lernen, sich mental und körperlich soweit loszulassen, dass eine Bearbeitung seines Körpers geschmeidig und physiologisch erfolgen kann.  „Losgelassenheit“ ist ein aktiver Zustand und muß immer wieder erarbeitet werden. Sie darf keinesfalls mit „Zwanglosigkeit“ verwechselt werden! Zwanglose Bewegungen sieht man bei entspannt und ohne Reiter laufenden Pferden auf der Weide. Der eine oder andere Leser wird jetzt mit den Augen rollen („Das weiß doch jeder bla, bla, bla….Ein bisschen Zügel aus der Hand kauen am Anfang und Ende – fertig“) oder sich selbstgerecht zurücklehnen und sich denken „Diesen Anfängerquatsch muß ich nicht lesen – mein Pferd ist lektionssicher und erfolgreich auf dem Turnier. Das betrifft nur diese Nichtskönner, die ihr Pferd nicht mal gescheit angaloppieren lassen können und stattdessen im Stechtrab durch die Bahn schießen“ etc. pp.

Weit gefehlt!! In vielen, vielen Reitställen sieht man selten bis niemals losgelassene Pferde (übrigens auch Reiter ;-)). Durch alle Leistungsklassen hindurch sind weiche Bewegungsabläufe, die das Pferd tatsächlich in seinen Fertigkeiten schulen und es langfristig gesunderhalten würden, die seltene Ausnahme. Es werden serienweise Lektionen geritten und auch auf Teufel komm raus durch Ausbilder gelehrt. Und dies auf Pferden, an denen rein Garnichts losläßt und denen es an den minimalsten Anforderungen an Takt, Geraderichten und/oder Anlehnung mangelt. Ich wünsche mir sehr, dass jeder mal im Stillen mit sich zu Gericht geht und sich fragt: Weiß ich wirklich was „Losgelassenheit“ meint und zeigt mein Pferd zumindest manchmal etwas davon??

Ein wichtiger Grundsatz in der Arbeit mit Pferden ist: Soviel Spannung wie nötig und sowenig Spannung wie möglich. Das Pferd muß sich jederzeit aus dem Hals heraus fallen lassen können und sich bereitwillig an das Gebiss herandehnen lassen, damit ein Spannungsbogen über den schwingenden Rücken mit dabei freiem langen Rückenmuskel zustande kommen kann. Ein losgelassenes Pferd entspannt den Unterhals und zeigt eine zufriedene Kautätigkeit. Wenn sich ein Pferd auf dem Gebiss festbeißt oder ständig mit dem Maul sperrt, ist das Ausdruck einer Verspannung, an der reiterlich kontinuierlich gearbeitet werden muss. Auch sehr gut gerittene Pferde machen sich zuweilen fest – hier gilt es sofort zu reflektieren, ob die Anforderung in diesem Moment zu hoch ist oder ob gesundheitliche bzw. Equipment- Probleme vorliegen oder die Einwirkung des Reiters schlichtweg ungenügend sind. Ein Lösen der Kau- und Schluckmuskulatur ist Aufgabe des Reiters und nicht ausschließlich zweimal im Jahr durch den engagierten Osteopathen. Zeichen von Losgelassenheit ist unbedingt auch ein schwingender Rücken. Die oft gehörte Aussage von Reitern: „Der hat soviel Schwung – den kann man kaum sitzen“ sollte hellhörig machen. Ein stoßender Rücken, der einen nicht sitzen lässt, zeigt unerwünschte Schwebetritte und einen festgehaltenen Rücken an. Viele Reiter haben noch nie einen schwingenden Rücken gefühlt und Tatsache ist auch, dass viele Pferde exterieurbedingt wahnsinnig schwer über den Rücken zu reiten sind. Hier muß man geduldig üben und mit kleinen Schritten über zuweilen verdammt lange Zeiträume zufrieden sein. Zu hoch gesetzte Ziele schaffen hier maximalen Frust auf beiden Seiten des Sattels. Gute Ausbilder müssen freundlich aber ehrlich mit ihren Reitschülern sein. Stumpfes „Lektionenreiten lassen“ ist eigentlich nur eine Beschäftigungstherapie für den Reiter und hilft keinem Pferd sich weiterzuentwickeln. Reiter sollten meiner Meinung nach mehr angelernt werden, weiche Bewegungen zu erfühlen und Strategien an die Hand bekommen, auftretende Festigkeiten zu bemerken und zumindest ansatzweise lösen zu können. Ein weiterer schöner, weil gut sichtbarer Hinweisgeber für eine zumindest teilweise Losgelassenheit ist der im Trab pendelnde Schweif. Der Schweif als sozusagen außen liegende Verlängerung der Wirbelsäule spiegelt die diagonale Bewegung der sich in wechselseitiger An- und Abspannung beweglichen Rückenmuskulatur beiderseits der Rumpfwirbelsäule. Pferde deren Schweif eingeklemmt (nicht) getragen wird sind im Rücken genauso festgehalten, wie Pferde deren Schweif steif und bananenartig abgespreizt wird.

Diese kleinen Beispiele sind einige, wenige äußere Zeichen von Losgelassenheit und jeder weiß, dass diese von sehr, sehr vielen äußeren und inneren Faktoren seitens des Pferdes und besonders auch seitens des Reiters abhängen. Einer meiner Träume ist, dass sich die Reiter zunehmend davon lösen würden, ihr Ego über die Lektionen, die ihr Pferd absolvieren kann, zu definieren und dadurch Gefahr laufen, deutlich zu hohe Ziele zu avisieren. Zu hoch bzw. falsch gesetzte Ziele schaffen Frust und Disharmonie, keinesfalls aber Losgelassenheit für Pferd und Reiter – die wiederum zwingend für ein Lernen und Entwickeln notwendig ist… Ein Teufelskreis!

Diesmal möchte ich mich mit einem Zitat von Xenophon verabschieden: „Erzwungenes und Unverstandenes ist niemals schön und wäre gerade so, als ob man durch Peitschen und Stacheln einen Tänzer zum Umherspringen zwingen wollte; dadurch wirkt Mensch wie Pferd eher häßlich als schön.“

Comments

  1. Das ist in allen Punkten genau zutreffend. Danke für diese gelungenen Worte, die ich gerne für ‚Xenophon‘ verwenden würde

  2. Ein ganz toller Artikel, auf den ich gerade gestoßen bin, nachdem ich heute genau dieses Thema auf meiner Homepage aufgegriffen habe. Die Schönheit in echter Losgelassenheit zu erkennen, das sollte jeder Reiter schon zu Anfang seiner Karriere erkennen lernen. Ich sehe mich sicher noch einmal in Ruhe auf Ihrer Homepage um! Alles Gute, Miriam Schumacher

  3. Kristina Kogel meint

    Endlich jemand der es versteht auszudrücken was wichtig ist. Leider fehlt es zusätzlich an den Reitlehrern die einem die Richtige Reitweise für Reiter und Pferd auch tatsächlich vermitteln können. Unser größtes Ziel ist es doch das Pferd das letztendlich nicht zum Reiten geboren wurde, gesund zu reiten, damit wir lange Spaß daran haben. Ich werde ganz bestimmt auf einem ihrer Kurse dabei sein. Vielen Dank!

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